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Dienstag, 18. Dezember 2012

Weihnachtsengel (von Corbinian)

Ich freue mich wahnsinnig wieder Gastgeber der heutigen Adventskalender-Autorin zu sein.

Heute besucht mich Corbinian und bevor ich mich hier um Kopf und Kragen schreibe... Vorhang auf für das Türchen No.:

~ 18 ~



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Weihnachtsengel

„Och, komm schon, Ady! Du musst unbedingt dorthin gehen, ja? Ich meine, es wird dich keiner erkennen, der Markt ist voller Leute! Da erkennt man doch eh nichts! Und du magst kleine Kinder doch eigentlich!“ Johannes, mein zwei Jahre älterer Bruder, starrt mich aus großen, bittenden Augen an. Fehlt nur noch, dass er einen Kniefall vor mir macht.
„Außerdem kannst du dich betrinken, ohne das jemand was dazu sagt und du verdienst obendrein einen Zehner die Stunde! Mal davon abgesehen, dass du als Engel wirklich ... du wärst gut!“ Er unterstreicht seine Worte, indem er weiter mit einem alten Brautkleid vor meiner Nase herum wedelt.
Ich seufze und starre immer noch missmutig auf das Kleid, bevor ich entschieden den Kopf schüttle. Das Geld habe ich schließlich auch mit dem Ferienjob im Supermarkt raus und betrinken geht auch so. Außerdem hasse ich den bittersüßen Geschmack von Weihnachtspunsch.
Johannes fährt sich frustriert und verzweifelt durch seine braune Lockenpracht, dann lässt er scheinbar resigniert die Schultern sinken. „Sieh mal, ich kann es nicht machen.“, erklärt er mir dann ernsthaft. „Ich habe nicht deine blonden Haare und die blauen Augen ... Die kleinen Kinder wären ganz begeistert von dir! Du musst nur etwas freundlicher schauen! Und – denk an Noah! Ich habe schon gesagt, dass du kommst!“
So wie er aussieht, will er einfach selbst nicht im Kleid dastehen oder aber er hat Angst, weil er sonst haushoch bei irgendeiner dubiosen Wette mit seinen Kumpels verliert. Aber eigentlich würde allein diese Bitte schon genügen, um ihn als Loser dastehen zu lassen, denke ich mir und verschränke nur die Arme vor der Brust. Seinem Gequatsche lausche ich dabei nur mit halbem Ohr, immerhin steht mein Entschluss fest.
Egal, was er sagt.
Moment mal, Noah? Noah ist auch da? Die kleine, dunkelhäutige Französin zwei Klassen unter mir? Die Noah, deren Augen immer so lebhaft funkeln, wenn sie lacht? Deren Akzent ihre Stimme weich klingen lässt, gerade wenn sie sich über etwas aufregt? Ihr wiegender Gang und ihre langen, braunen Haare, die nach Lavendel duften, wenn sie an mir vorbeigeht und mir kurz zulächelt ...
„Ich mach's!“, höre ich mich im nächsten Moment entsetzt selbst antworten und unterbreche Johannes' Redeschwall damit abrupt. Er ist so überrascht, dass ihm sogar der Mund aufklappt, was ziemlich untypisch ist – sonst versucht er sich immer möglichst lässig zu geben. Wobei ich mit meinen aufgerissenen Augen wahrscheinlich genau so bescheuert aussehe.
Johannes starrt mich noch einen Moment ungläubig an und lässt dann langsam den Arm mit Mamas Brautkleid sinken. „Du – wirklich?“, fragt er dann nach und ich nicke resigniert. Bereits im nächsten Moment grinst er jedoch und klopft mir dann gewichtig auf die Schulter. „Cool! Noah wird sich freuen!“
Das bezweifle ich irgendwie, aber so wie Johannes mich ansieht, gibt es wohl kein Zurück mehr. Ich meine, es ist ziemlich dumm, zu hoffen, dass Noah mich anspricht, wenn ich als Engeline vor ihr stehe. Andererseits werde ich in dem Aufzug aber auch nicht zu übersehen sein ... Und wenn man sich die ganzen Models heute anschaut, ist unisex ja sowieso in.
Kritisch mustere ich mich selbst im mannshohen Spiegel, der in einer Ecke des kleinen Marktzeltes steht. Es ist zugig und schlecht beleuchtet, immerhin wird es im Winter früh dunkel. Und wenn ich mich schon in ein Kleid pressen, mir Flügel und einen Heiligenschein aufsetzen muss und mich dann auch noch schminken soll – dann hätte ich schon gerne etwas mehr Licht, als eine kleine Taschenlampe. Immerhin muss ich mir Glitzerpuder in das Gesicht klatschen, verflucht!
Ich soll sowieso seit einigen Minuten draußen sein, aber ich bekomme meine Augen einfach nicht betont. Ich meine, ich bin ein Junge, ich kann nicht mit Schminkzeug umgehen. Will ich auch gar nicht. Aber ich muss auch engelig aussehen, immerhin bekomme ich zehn Euro pro Stunde – je eher ich allerdings draußen bin, desto eher sehe ich auch Noah.

Missmutig tupfe ich abermals in meinem Gesicht herum, doch das macht es nicht besser. Frustriert lasse ich Glitzerpuder Glitzerpuder sein und prüfe dann noch mal, ob alles sitzt. Wider Erwarten umschmeichelt das Kleid meinen Körper angenehm, nachdem Mama es eigenhändig umgenäht hat. Ich fühle mich nicht so unwohl, wie ich sollte, auch wenn ich mir in dieser leichten Bekleidung sicher alles abfriere. Was auch immer das nun über mich aussagt.
Viel Zeit zum Grübeln bleibt mir jedoch nicht, da in diesem Moment ein Junge – oder vielleicht wäre es besser, ein junger Mann zu sagen – den Kopf in das Zelt steckt. Auch er ist geschminkt, seine dunklen Haare und die braunen Augen sehen zu der blassen Haut und der weißen Kleidung seltsam aus. Seltsam, aber nicht schlecht, wie ich neidvoll zugeben muss. Hoffentlich steht Noah nicht eher auf den dunkleren Typ!
„Hey“, unterbricht der jedoch meine Gedanken und schiebt sich dann ganz in das Zelt. „Du musst Adrian sein, nicht wahr?“ Er wartet mein zustimmendes Nicken ab und mustert mich dabei kritisch. „Ich habe gehört, du spielst heute unser Christkind“, erklärt er mir dann und grinst wegen dem Kleid. „Und ich muss sagen, sie haben dieses Jahr eine perfekte Wahl getroffen. Du siehst wirklich aus wie ein Engel. Aber das mit dem Schminken, das musst du noch üben.“
Ich nicke überfordert, immerhin hat er wirklich recht, wie der Blick in den Spiegel mir bestätigt. „Ähm, ja ...“, murmle ich also und halte hilflos die Puderdose und diesen gigantischen Pinsel hoch. „Aber ich hab' es zumindest versucht ...“, schiebe ich dann hinterher, um nicht völlig dämlich dazustehen – andererseits, ich habe eben normalerweise nicht viel mit diesen ganzen Schminkutensilien am Hut.
Der Fremde nickt und schiebt sich dann ganz in das Zelt, wobei er sich etwas verrenkt, um seine eigenen, etwas dunkleren Flügel nicht an der Zeltplane zu beschädigen. „Warte kurz, ich helfe dir“, meint er dabei zu mir und steht dann auch schon an meiner Seite. Er ist tatsächlich gut einen Kopf größer und empörenderweise trägt er schlichte, weiße Jeans! Was würde ich in diesem Moment dafür geben, mit ihm zu tauschen!
Ich schüttele über mich selbst den Kopf, jetzt ist es eh zu spät. Mit einem Seufzen schaue ich dann zu ihm hoch und drücke ihm das Puder samt Pinsel in die Hand. „Hier!“, motze ich dann und verschränke die Arme vor der Brust. „Du darfst dich austoben!“
„Augen zu“, antwortet er mir amüsiert und betrachtet mich mit einem undeutbaren Blick, bevor er sich etwas näher zu mir beugt. „Das Licht hier drin ist aber auch wirklich schlecht. Letztes Jahr hatten wir wenigstens einen kleinen Generator, so dass wir zum Schminken eine Ecklampe hatten ... Aber es wird wohl alles teurer und da sich unsere Gruppe nur über Sponsoren zusammensetzt, müssen wir jetzt auf jeglichen Luxus verzichten“, erklärt er mir, während er immer wieder mit dem Pinsel auf mein Gesicht tupft. Es kitzelt irgendwie angenehm, aber vermutlich finde ich gerade alles angenehm, was mir etwas Schonfrist zusichert.
„Du machst hier öfter mit?“, frage ich dann doch halbwegs interessiert, weil ich einfach nicht begreife, was einen Kerl wie ihn dazu bringt, sich jedes Jahr auf Weihnachten den Hintern abzufrieren. „Nebenbei, wie heißt du eigentlich?“
Kurz herrscht Schweigen, nur hin und wieder kitzelt der Pinsel meine Wange. „Noah“, sagt er dann jedoch beiläufig, während mir das Herz stehen bleibt. „Sag mal, hat dein Bruder dich eigentlich aufgeklärt, wie das bei uns abläuft?“


„Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?!“ Mit verschränkten Armen stehe ich wenige Minuten später vor der kleinen Truppe, die sich aus Maria, Joseph, einer Babypuppe, einem Schäferhund an Stelle des Esels, den heiligen drei Königen (die nebenbei weder heilig noch königlich wirken, so wie sie herumalbern) und Noah zusammensetzt.
Nur mit aller Mühe kann ich mich davon abhalten wie ein Kleinkind mit dem Fuß aufzustapfen, um meiner Empörung Luft zu machen. „Ich laufe doch nicht Hand in Hand mit jemand Wildfremden über den Markt! Wer weiß, wer mich da sieht! Und dann auch noch mit einem Mann!“
Die heiligen drei Könige amüsieren sich prächtig über meinen Ausbruch, aber sie haben auch schon etwas vom Glühwein probiert. Und wenigstens kann überhaupt wer lachen, ich finde das nämlich nicht gerade lustig.
„Na ja“, erklärt Balthasar, der eigentlich Michael heißt, mir dann aber halbwegs ernst, „es heißt doch immer 'der Engel', also muss das doch ein Mann sein. Und das Christkind ist eigentlich sächlich, also passt ein Kleid zu dir.“ Womit wir dann auch die Stufe der besoffenen Logik erreicht hätten. Zu meinem Schreck nickt jedoch auch der Rest der Gruppe einhellig.
„Und“, schiebt Michael dann noch hinterher, „ihr sollt ja nur Händchen halten und nicht gleich übereinander herfallen. Auch wenn Noah da sicher nicht viel gegen hätte!“ Er grinst verschmitzt, während Noah unter seiner weißen Schminke rot anläuft und nicht eben gesund aussieht.
Rasch hebt er seine Hände in einer Abwehrgeste, doch ich bin trotzdem entgeistert. Wenn ich diesen Abend überstehen soll, dann brauche ich definitiv auch etwas von dem Glühwein!
 
...

„Und du sagst dem Weihnachtsmann auch wirklich, dass ich mir ein Pferd wünsche?“, fragt das kleine Mädchen nun schon zum gefühlt tausendsten Mal nach und umklammert einen Zipfel von Noahs T-Shirt. Der wirkt jedoch nicht im Mindesten genervt, sondern lächelt bloß freundlich zu der Kleinen, während er mir unauffällig einen weiteren Becher Glühwein zuschiebt. Das Zeug ist zwar weiterhin eklig, aber wenigstens wärmt es etwas und ich habe eine Entschuldigung, warum ich nicht mehr ganz klar denken kann.
Immerhin habe ich die letzten Stunden damit verbracht, an der Hand eines Mannes über den Markt zu laufen und ich habe es gar nicht so schlimm gefunden. Mal davon abgesehen, dass ich festgestellt habe, das Johannes nie von 'meiner Noah' gesprochen hat; dass Noah – also der Engel jetzt– schwul und der beste Freund meines Bruders ist; dass er ebenfalls auf unsere Schule geht und dass ich ihm aufgefallen sei. Und als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, habe ich dann festgestellt, dass es mich nicht stört.
Jetzt sitze ich also hier, an einem Stand, der extra für unsere Gruppe reserviert ist und versuche, mich zu betrinken, um all das möglichst zu vergessen. Das Schockierendste ist ja auch nur, dass ich gar nicht geschockt bin, falls das irgendeinen Sinn ergibt. Auf jeden Fall werde ich morgen ein ernstes Wörtchen mit Johannes reden müssen; jetzt ist mir ja auch klar, warum er mich so angefleht hat. Und ich muss Noah klarmachen, dass ich eigentlich auf Noah – also die Französin – stehe. Ganz schön kompliziert, das alles ...
Noah – der Engel – hat sich inzwischen von dem Mädchen freigemacht und rutscht neben mich auf die Holzbank. Er gähnt kurz und offenbart eine Reihe weißer Zähne, bevor er rasch die Hand hebt. Dann lässt er sie wieder sinken und stützt den linken Ellenbogen auf dem Tresen ab, um den Kopf in seine Handfläche zu stützen. „Ich liebe Weihnachten ja, aber das Rumgelaufe macht mich immer echt müde“, erklärt er mir dann und greift dann nach meinen Glas Glühwein.
Ich blinzele, weil ich ihn inzwischen ziemlich verschwommen sehe und nicke dann einfach. Was soll ich schon groß dazu sagen. „Kann sein. Ich spür' vermutlich nichts mehr, wegen dem Alkohol ...“, nuschle ich dann und ziehe die Tasse wieder zurück.

Noah schaut kurz auf meine Finger, die seine kurz gestreift haben, dann blickt er wieder auf und grinst plötzlich spitzbübisch. „Gar nichts?“, hakt er nach und beugt sich etwas vor, als wollte er mir das Glas abermals abnehmen. Doch dann beugt er sich weiter vor, bis er mir so nahe ist, dass ich seinen Atem fühlen kann. „Auch das nicht?“ Seine Stimme ist nur ein leises Murmeln, bevor er seine Lippen auf meine legt.
Zuerst bin ich viel zu erschrocken, um irgendwie zu reagieren, denn ja verdammt, das spüre ich! Weiche, volle Lippen, die sich nachdrücklich gegen meine schmiegen. Mir schwindelt und ich weiß nicht, ob es wegen dem Glühwein ist, oder weil Noah mich küsst. Sein Geruch umwabert mich, männlich-herb und dann ist da plötzlich eine vorwitzige Zunge, die meinen Mund nachzeichnet ...

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Weiter geht es morgen bei Pat McCraw

1 Kommentar:

  1. Gut, dass du mich dran erinnerst. Im Moment geht bei mir alles drunter und drüber.... ;)

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