Heute besucht mich Corbinian und bevor ich mich hier um Kopf und Kragen schreibe... Vorhang auf für das Türchen No.:
~ 18 ~ |
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Weihnachtsengel
„Och, komm schon, Ady! Du musst
unbedingt dorthin gehen, ja? Ich meine, es wird dich keiner erkennen,
der Markt ist voller Leute! Da erkennt man doch eh nichts! Und du
magst kleine Kinder doch eigentlich!“ Johannes, mein zwei Jahre
älterer Bruder, starrt mich aus großen, bittenden Augen an. Fehlt
nur noch, dass er einen Kniefall vor mir macht.
„Außerdem kannst du dich betrinken,
ohne das jemand was dazu sagt und du verdienst obendrein einen Zehner
die Stunde! Mal davon abgesehen, dass du als Engel wirklich ... du
wärst gut!“ Er unterstreicht seine Worte, indem er weiter mit
einem alten Brautkleid vor meiner Nase herum wedelt.
Ich seufze und starre immer noch
missmutig auf das Kleid, bevor ich entschieden den Kopf schüttle.
Das Geld habe ich schließlich auch mit dem Ferienjob im Supermarkt
raus und betrinken geht auch so. Außerdem hasse ich den bittersüßen
Geschmack von Weihnachtspunsch.
Johannes fährt sich frustriert und
verzweifelt durch seine braune Lockenpracht, dann lässt er scheinbar
resigniert die Schultern sinken. „Sieh mal, ich kann es nicht
machen.“, erklärt er mir dann ernsthaft. „Ich habe nicht deine
blonden Haare und die blauen Augen ... Die kleinen Kinder wären ganz
begeistert von dir! Du musst nur etwas freundlicher schauen! Und –
denk an Noah! Ich habe schon gesagt, dass du kommst!“
So wie er aussieht, will er einfach
selbst nicht im Kleid dastehen oder aber er hat Angst, weil er sonst
haushoch bei irgendeiner dubiosen Wette mit seinen Kumpels verliert.
Aber eigentlich würde allein diese Bitte schon genügen, um ihn als
Loser dastehen zu lassen, denke ich mir und verschränke nur die Arme
vor der Brust. Seinem Gequatsche lausche ich dabei nur mit halbem
Ohr, immerhin steht mein Entschluss fest.
Egal, was er sagt.
…
Moment mal, Noah? Noah ist auch da? Die
kleine, dunkelhäutige Französin zwei Klassen unter mir? Die Noah,
deren Augen immer so lebhaft funkeln, wenn sie lacht? Deren Akzent
ihre Stimme weich klingen lässt, gerade wenn sie sich über etwas
aufregt? Ihr wiegender Gang und ihre langen, braunen Haare, die nach
Lavendel duften, wenn sie an mir vorbeigeht und mir kurz zulächelt
...
„Ich mach's!“, höre ich mich im
nächsten Moment entsetzt selbst antworten und unterbreche Johannes'
Redeschwall damit abrupt. Er ist so überrascht, dass ihm sogar der
Mund aufklappt, was ziemlich untypisch ist – sonst versucht er sich
immer möglichst lässig zu geben. Wobei ich mit meinen aufgerissenen
Augen wahrscheinlich genau so bescheuert aussehe.
Johannes starrt mich noch einen Moment
ungläubig an und lässt dann langsam den Arm mit Mamas Brautkleid
sinken. „Du – wirklich?“, fragt er dann nach und ich nicke
resigniert. Bereits im nächsten Moment grinst er jedoch und klopft
mir dann gewichtig auf die Schulter. „Cool! Noah wird sich freuen!“
Das bezweifle ich irgendwie, aber so
wie Johannes mich ansieht, gibt es wohl kein Zurück mehr. Ich meine,
es ist ziemlich dumm, zu hoffen, dass Noah mich anspricht, wenn ich
als Engeline vor ihr stehe. Andererseits werde ich in dem Aufzug aber
auch nicht zu übersehen sein ... Und wenn man sich die ganzen Models
heute anschaut, ist unisex ja sowieso in.
…
Kritisch mustere ich mich selbst im
mannshohen Spiegel, der in einer Ecke des kleinen Marktzeltes steht.
Es ist zugig und schlecht beleuchtet, immerhin wird es im Winter früh
dunkel. Und wenn ich mich schon in ein Kleid pressen, mir Flügel und
einen Heiligenschein aufsetzen muss und mich dann auch noch schminken
soll – dann hätte ich schon gerne etwas mehr Licht, als eine
kleine Taschenlampe. Immerhin muss ich mir Glitzerpuder in das
Gesicht klatschen, verflucht!
Ich soll sowieso seit einigen Minuten
draußen sein, aber ich bekomme meine Augen einfach nicht betont. Ich
meine, ich bin ein Junge, ich kann nicht mit Schminkzeug umgehen.
Will ich auch gar nicht. Aber ich muss auch engelig aussehen,
immerhin bekomme ich zehn Euro pro Stunde – je eher ich allerdings
draußen bin, desto eher sehe ich auch Noah.
Missmutig tupfe ich abermals in meinem
Gesicht herum, doch das macht es nicht besser. Frustriert lasse ich
Glitzerpuder Glitzerpuder sein und prüfe dann noch mal, ob alles
sitzt. Wider Erwarten umschmeichelt das Kleid meinen Körper
angenehm, nachdem Mama es eigenhändig umgenäht hat. Ich fühle mich
nicht so unwohl, wie ich sollte, auch wenn ich mir in dieser leichten
Bekleidung sicher alles abfriere. Was auch immer das nun über mich
aussagt.
Viel Zeit zum Grübeln bleibt mir
jedoch nicht, da in diesem Moment ein Junge – oder vielleicht wäre
es besser, ein junger Mann zu sagen – den Kopf in das Zelt steckt.
Auch er ist geschminkt, seine dunklen Haare und die braunen Augen
sehen zu der blassen Haut und der weißen Kleidung seltsam aus.
Seltsam, aber nicht schlecht, wie ich neidvoll zugeben muss.
Hoffentlich steht Noah nicht eher auf den dunkleren Typ!
„Hey“, unterbricht der jedoch meine
Gedanken und schiebt sich dann ganz in das Zelt. „Du musst Adrian
sein, nicht wahr?“ Er wartet mein zustimmendes Nicken ab und
mustert mich dabei kritisch. „Ich habe gehört, du spielst heute
unser Christkind“, erklärt er mir dann und grinst wegen dem Kleid.
„Und ich muss sagen, sie haben dieses Jahr eine perfekte Wahl
getroffen. Du siehst wirklich aus wie ein Engel. Aber das mit dem
Schminken, das musst du noch üben.“
Ich nicke überfordert, immerhin hat er
wirklich recht, wie der Blick in den Spiegel mir bestätigt. „Ähm,
ja ...“, murmle ich also und halte hilflos die Puderdose und diesen
gigantischen Pinsel hoch. „Aber ich hab' es zumindest versucht
...“, schiebe ich dann hinterher, um nicht völlig dämlich
dazustehen – andererseits, ich habe eben normalerweise nicht viel
mit diesen ganzen Schminkutensilien am Hut.
Der Fremde nickt und schiebt sich dann
ganz in das Zelt, wobei er sich etwas verrenkt, um seine eigenen,
etwas dunkleren Flügel nicht an der Zeltplane zu beschädigen.
„Warte kurz, ich helfe dir“, meint er dabei zu mir und steht dann
auch schon an meiner Seite. Er ist tatsächlich gut einen Kopf größer
und empörenderweise trägt er schlichte, weiße Jeans! Was würde
ich in diesem Moment dafür geben, mit ihm zu tauschen!
Ich schüttele über mich selbst den
Kopf, jetzt ist es eh zu spät. Mit einem Seufzen schaue ich dann zu
ihm hoch und drücke ihm das Puder samt Pinsel in die Hand. „Hier!“,
motze ich dann und verschränke die Arme vor der Brust. „Du darfst
dich austoben!“
„Augen zu“, antwortet er mir
amüsiert und betrachtet mich mit einem undeutbaren Blick, bevor er
sich etwas näher zu mir beugt. „Das Licht hier drin ist aber auch
wirklich schlecht. Letztes Jahr hatten wir wenigstens einen kleinen
Generator, so dass wir zum Schminken eine Ecklampe hatten ... Aber es
wird wohl alles teurer und da sich unsere Gruppe nur über Sponsoren
zusammensetzt, müssen wir jetzt auf jeglichen Luxus verzichten“,
erklärt er mir, während er immer wieder mit dem Pinsel auf mein
Gesicht tupft. Es kitzelt irgendwie angenehm, aber vermutlich finde
ich gerade alles angenehm, was mir etwas Schonfrist zusichert.
„Du machst hier öfter mit?“, frage
ich dann doch halbwegs interessiert, weil ich einfach nicht begreife,
was einen Kerl wie ihn dazu bringt, sich jedes Jahr auf Weihnachten
den Hintern abzufrieren. „Nebenbei, wie heißt du eigentlich?“
Kurz herrscht Schweigen, nur hin und
wieder kitzelt der Pinsel meine Wange. „Noah“, sagt er dann
jedoch beiläufig, während mir das Herz stehen bleibt. „Sag mal,
hat dein Bruder dich eigentlich aufgeklärt, wie das bei uns
abläuft?“
…
„Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?!“ Mit verschränkten Armen stehe ich wenige Minuten später vor der kleinen Truppe, die sich aus Maria, Joseph, einer Babypuppe, einem Schäferhund an Stelle des Esels, den heiligen drei Königen (die nebenbei weder heilig noch königlich wirken, so wie sie herumalbern) und Noah zusammensetzt.
Nur mit aller Mühe kann ich mich davon
abhalten wie ein Kleinkind mit dem Fuß aufzustapfen, um meiner
Empörung Luft zu machen. „Ich laufe doch nicht Hand in Hand mit
jemand Wildfremden über den Markt! Wer weiß, wer mich da sieht! Und
dann auch noch mit einem Mann!“
Die heiligen drei Könige amüsieren
sich prächtig über meinen Ausbruch, aber sie haben auch schon etwas
vom Glühwein probiert. Und wenigstens kann überhaupt wer lachen,
ich finde das nämlich nicht gerade lustig.
„Na ja“, erklärt Balthasar, der
eigentlich Michael heißt, mir dann aber halbwegs ernst, „es heißt
doch immer 'der Engel', also muss das doch ein Mann sein. Und das
Christkind ist eigentlich sächlich, also passt ein Kleid zu dir.“
Womit wir dann auch die Stufe der besoffenen Logik erreicht hätten.
Zu meinem Schreck nickt jedoch auch der Rest der Gruppe einhellig.
„Und“, schiebt Michael dann noch
hinterher, „ihr sollt ja nur Händchen halten und nicht gleich
übereinander herfallen. Auch wenn Noah da sicher nicht viel gegen
hätte!“ Er grinst verschmitzt, während Noah unter seiner weißen
Schminke rot anläuft und nicht eben gesund aussieht.
Rasch hebt er seine Hände in einer
Abwehrgeste, doch ich bin trotzdem entgeistert. Wenn ich diesen Abend
überstehen soll, dann brauche ich definitiv auch etwas von dem
Glühwein!
...
„Und du sagst dem Weihnachtsmann auch
wirklich, dass ich mir ein Pferd wünsche?“, fragt das kleine
Mädchen nun schon zum gefühlt tausendsten Mal nach und umklammert
einen Zipfel von Noahs T-Shirt. Der wirkt jedoch nicht im Mindesten
genervt, sondern lächelt bloß freundlich zu der Kleinen, während
er mir unauffällig einen weiteren Becher Glühwein zuschiebt. Das
Zeug ist zwar weiterhin eklig, aber wenigstens wärmt es etwas und
ich habe eine Entschuldigung, warum ich nicht mehr ganz klar denken
kann.
Immerhin habe ich die letzten Stunden
damit verbracht, an der Hand eines Mannes über den Markt zu laufen
und ich habe es gar nicht so schlimm gefunden. Mal davon abgesehen,
dass ich festgestellt habe, das Johannes nie von 'meiner Noah'
gesprochen hat; dass Noah – also der Engel jetzt– schwul und der
beste Freund meines Bruders ist; dass er ebenfalls auf unsere Schule
geht und dass ich ihm aufgefallen sei. Und als wenn das alles noch
nicht schlimm genug wäre, habe ich dann festgestellt, dass es mich
nicht stört.
Jetzt sitze ich also hier, an einem
Stand, der extra für unsere Gruppe reserviert ist und versuche, mich
zu betrinken, um all das möglichst zu vergessen. Das Schockierendste
ist ja auch nur, dass ich gar nicht geschockt bin, falls das
irgendeinen Sinn ergibt. Auf jeden Fall werde ich morgen ein ernstes
Wörtchen mit Johannes reden müssen; jetzt ist mir ja auch klar,
warum er mich so angefleht hat. Und ich muss Noah klarmachen, dass
ich eigentlich auf Noah – also die Französin – stehe. Ganz schön
kompliziert, das alles ...
Noah – der Engel – hat sich
inzwischen von dem Mädchen freigemacht und rutscht neben mich auf
die Holzbank. Er gähnt kurz und offenbart eine Reihe weißer Zähne,
bevor er rasch die Hand hebt. Dann lässt er sie wieder sinken und
stützt den linken Ellenbogen auf dem Tresen ab, um den Kopf in seine
Handfläche zu stützen. „Ich liebe Weihnachten ja, aber das
Rumgelaufe macht mich immer echt müde“, erklärt er mir dann und
greift dann nach meinen Glas Glühwein.
Ich blinzele, weil ich ihn inzwischen
ziemlich verschwommen sehe und nicke dann einfach. Was soll ich schon
groß dazu sagen. „Kann sein. Ich spür' vermutlich nichts mehr,
wegen dem Alkohol ...“, nuschle ich dann und ziehe die Tasse wieder
zurück.
Noah schaut kurz auf meine Finger, die seine kurz gestreift haben, dann blickt er wieder auf und grinst plötzlich spitzbübisch. „Gar nichts?“, hakt er nach und beugt sich etwas vor, als wollte er mir das Glas abermals abnehmen. Doch dann beugt er sich weiter vor, bis er mir so nahe ist, dass ich seinen Atem fühlen kann. „Auch das nicht?“ Seine Stimme ist nur ein leises Murmeln, bevor er seine Lippen auf meine legt.
Zuerst bin ich viel zu erschrocken, um
irgendwie zu reagieren, denn ja verdammt, das spüre ich! Weiche,
volle Lippen, die sich nachdrücklich gegen meine schmiegen. Mir
schwindelt und ich weiß nicht, ob es wegen dem Glühwein ist, oder
weil Noah mich küsst. Sein Geruch umwabert mich, männlich-herb und
dann ist da plötzlich eine vorwitzige Zunge, die meinen Mund
nachzeichnet ...
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Weiter geht es morgen bei Pat McCraw
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Weiter geht es morgen bei Pat McCraw
Gut, dass du mich dran erinnerst. Im Moment geht bei mir alles drunter und drüber.... ;)
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